100 Jahre „Grethe Witting“

Rückblick auf ein bewegtes Schiffsleben

Grethe Witting am 12.11.2014 (Foto: Richard Bathory)Mit diesem Artikel möchten wir an ein Segelschiff erinnern, dem wir uns seit dem Ende der 90er-Jahre durch gemeinsame Fahrenszeiten verbunden fühlen.

Damals haben wir über Seefahrtsmuseen und Schiffsarchive aus Großbritannien, Norwegen und Dänemark Informationen und Bilder über die „Grethe Witting“ zusammengesammelt.

Gerne hätten wir die Jubilarin in einem attraktiveren Zustand gezeigt als auf dem nebenstehenden Bild. Es zeigt sie am 12. November 2014 im gesunkenen Zustand im Hafen von Mangalia (Rumänien). Hier ruht sie seit mittlerweile gut vier Jahren infolge eines undurchschaulichen Rechtsstreits zwischen dem letzten im Schiffsregister geführten Eigner und seinem Investor um die Besitzverhältnisse.

In der englischen Fischereiflotte

Die englischen Segellogger waren hochseetüchtige und für ihre herausragenden Segeleigenschaften berühmte Schiffe. Die Blütezeit ihres Baus war zwischen 1870 und 1926, als Hunderte solcher „Smacks“ von Häfen wie Brixham, Grimsby und Lowestoft aus die Gewässer um England bis hinauf nach Island befuhren, um mit Langleine, Schlepp- oder Treibnetz zu fischen und Englands Märkte zu versorgen.

Als einer der größten Logger wurde die „Grethe Witting“ 1914 auf der Werft Colby Bros. / Oulton Broad in Lowestoft erbaut. Als „Steam Drifter“ unter Segeln und Dampfmaschine (nach dem 1. Weltkrieg) befuhr sie unter dem Namen „Norford Suffling“ mehr als drei Jahrzehnte die Nordsee. Wie sie zu dieser Zeit ausgesehen hat, erkennt man auf diesem Bild aus dem Lowestoft & East Suffolk Maritime Museum:

Steam Drifter Norford Suffling (Foto: Lowestoft & East Suffolk Maritime Museum)

Frachtfahrt in Skandinavien

1946 wurde die „Norford Suffling“ nach Norwegen verkauft. Auf der Überfahrt havarierte sie vor der dänischen Küste, wurde aber geborgen und nach Dänemark weiterverkauft, wo sie – wie viele ihrer in Skandinavien segelnden Schwestern – zum frachtfahrenden Küstenmotorschiff umgebaut wurde und mit Ladungen von Korn und Kali die Ostsee befuhr. Das Bild zeigt sie als „Ifka“ ca. 1947/48 mit Heimathafen Rødvig:

Küstenmotorschiff Ifka (Foto: Archiv Sven Sand)

Ab 1948 war sie in Grenå beheimatet und erhielt den Namen „Grethe Witting“, den sie bis heute behalten hat. Dieses Kapitel ihres Lebens ging 1969 zuende, und eine Periode häufigerer Eignerwechsel schloß sich an. Für ein Jahr war sie sogar nach Bahrain verkauft (verließ aber Dänemark nicht)!

Interessanterweise gab es bereits 1946 in Grenå kurzzeitig ein Kufftjalk gleichen Namens – die heutige „Jan Huygen“, auch bekannt als „Engelina“.

Als dänisches Jugendschiff

1971 ging die „Grethe Witting“ in den Besitz der Søspejderen (dänische Seepfadfinder) über, wechselte aber nach ein paar Jahren erneut in Privatbesitz.

Von 1974 an wurde der klassische Seglerrumpf der „Grethe Witting“ saniert. Der Laderaum unter Deck wich Wohnraum für Besatzung. Nach den Originalplänen der historischen „Sailing Trawler“ wurde sie als Gaffelketsch wieder aufgeriggt und erhielt eine Diesel-Hilfsmaschine.

Ein so großes Projekt erschöpfte die Mittel des damaligen Alleineigners, und so mußte die Restaurierung ab 1980 von der Partenrederei „Det Danske Sejlskibsrederi“, in der sich die Segelenthusiasten S. Sand, G. Brink und O. Leth zusammengetan hatten, abgeschlossen werden. Ab 1982 machte die „Grethe Witting“ als Jugendschiff lange Reisen, die sie bis in südliche Gefilde führten. Und sie besuchte 1987 ihren Geburtsort Lowestoft. Hier eine Ansichtskarte von dieser Reise mit Widmung der damaligen Besatzung:

Ansichtskarte der Grethe Witting (Foto: Lowestoft & East Suffolk Maritime Museum)

Charterfahrt unter 3 Flaggen

1992 erwarb der Niederländer Wim Ruiter die „Grethe Witting“, welche zunächst unter dänischer Flagge verblieb. Der Innenausbau wurde für die Charterfahrt mit 16 Gästen umgestaltet.

Von 1994 bis 1999 war die „Grethe Witting“ in den Niederlanden mit Heimathafen Kampen registriert. Ihr Segelrevier war aber nach wie vor überwiegend die Ostsee. Mit der Zeit kristallisierte sich Rostock als geeigneter Ausgangshafen heraus, der sowohl für eine gute Verkehrsanbindung als auch für attraktive Segelreviere direkt vor der Haustür stand. Im Jahr 2000 wurde die „Grethe Witting“ als Traditionsschiff nach Deutschland umgeflaggt.

Das Millennium-Jahr stand auch für einen ihren größten Törns – bezeichnenderweise an die 2.000 Seemeilen lang – mit Besuchen der maritimen Festivals in Penzance, Brest und Douarnenez.

Celtic Voyage 2000 in Penzancebrest_2000

Douarnenez 2000 bei Nacht (Foto: Uli Stollberg)St. Peter Port / Guernsey (Foto: Uli Stollberg)

Auf dem Rücktörn kam es dann zu einem ungeplanten mehrtägigen Stopp in St. Peter Port / Guernsey aufgrund einer Leckage im achteren Unterwasserschiff, die von einem herbeigerufenen Taucher provisorisch abgedichtet werden musste, da die Gezeiten nicht hoch genug aufliefen, um in der Werft auf den Slip zu gehen.

Abenteuer Schwarzes Meer

Nach dem Tod von Wim Ruiter kam die „Grethe Witting“ 2007 erneut in niederländischen Besitz, blieb aber nach den zugänglichen Quellen zumindest bis ins Jahr 2008 unter deutscher Flagge, bevor sie zunächst in die Niederlande umgeflaggt wurde.

Der neue Eigner hatte Planungen, sie als Charterschiff und Sail Training Ship an der Schwarzmeerküste unter rumänischer Flagge einzusetzen. Im Frühjahr 2008 wurde die Maschine ausgetauscht, bevor die 50-tägige Überführung begann. Am 27. Mai 2008 erreichte die „Grethe Witting“ ihren neuen Stammhafen Mangalia in Rumänien.

Das neue Projekt stand aber unter keinem guten Stern. Der Eigner Markus Vrieling kommentierte anläßlich des Untergangs der „Asgard II“ am 20.9.2008:

Recently we had almost a similar situation with the ‚Grethe Witting‘ half a mile fron the coast of Bulgaria. Fortunately we were able to save the ship and tow her back to Mangalia were we have our new homeport.

(weitere Quellen zum Vorfall im Anhang)

Währenddessen entspann sich ein Zwist zwischen Vrieling und seinem Investor Jacobs, in dessen Verlauf die „Grethe Witting“ von den rumänischen Behörden unter zahlreichen unklaren Umständen an die Kette gelegt wurde. Im Rahmen einer Auktion vor einem rumänischen Gericht erwarb Jacobs das Schiff, so daß Vrieling ab November 2008 der Zutritt an Bord verweigert wurde. Ein entsprechender Beschluß wurde am 12.6.2009 gerichtlich betätigt.

Am 1.10.2009 sank die „Grethe Witting“ an der Kaikante in Mangalia. Nach fast 10 Monaten wurde sie am 30.7.2010 mit entsprechend umfassenden Schäden wieder gehoben:

Dieses war die bisweilen letzte Fahrt der „Grethe Witting“. Am 27.9.2010 ist sie an ihrem neuen Liegeplatz erneut gesunken. Seit mittlerweile 4 Jahre verweilt sie dort – verfangen in einem verworrenen Netz aus rumänischem, niederländischem und europäischem Recht, das augenscheinlich nicht in Einklang zu bringen sind.

Möge ihr 100.Geburtstag eine Mahnung sein, mit unserem maritimen Kulturerbe bewusster umzugehen!

Schiffsglocke der Grethe Witting

Quellenangaben:

Unsere Nachforschungen 1999 / 2000 wurden tatkräftig unterstützt von:

sowie:

  • A.N. Christensen
  • E.C. Abranson



Die Schiffslisten der dänischen Handelsschiffahrt sind zwischenzeitlich digitalisiert worden und für die Allgemeinheit zugänglich:

Das Schicksal der „Grethe Witting“ in den nachfolgenden Jahren ist recherchiert aus den folgenden Quellen:

Bildquellen:

  • [1] und Video Richard Barthory
  • [2] [4] Lowestoft & East Suffolk Maritime Museum
  • [3] Archiv Sven Sand
  • [5] [6] [9] Kora Klapp
  • [7] [8] Uli Stollberg

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One Response to 100 Jahre „Grethe Witting“

  1. Lukat, Udo says:

    Im September 2002 segelte ich als Traini auf der Grethe Witting von Rostock nach Kopenhagen und
    zurück. Wunderbare Tage und für immer unvergeßlich!!! Ein Jugendtraum erfüllte .sich.Ich war
    damals 61 Jahre alt. Zum damaligen Eigner Wim nur so viel: Ich weiß seit dem,warum es auf Schiffen
    zu Meutereien kommen kann!

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